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Streaming-Kolumne

Serienlandschaft: Einst war alles Gold, was glänzt,…

Staffellauf #10 von Dobrila  •  07. Oktober 2021

…nun nicht mehr. Die Abgesänge auf das „Golden Age of Television“ mit originellen Serienproduktionen mehren sich – was erwartet uns in Zukunft?

Es ist nicht alles Gold, was glänzt – diese Weisheit mag auf vieles zutreffen, auf die Vertreter dessen, was unter amerikanischen TV-Kritiker*innen gemeinhin als „Golden Age of Television“ oder „Peak TV“ bekannt ist, allerdings nicht. Diese feierlichen Bezeichnungen beziehen sich meist auf die seit Ende der 1990er einsetzende Welle qualitativ hochwertiger Serienproduktionen amerikanischer Kabel- und Pay-TV-Sender wie AMC und HBO und später eben auch Streaminganbietern wie Netflix und Amazon Prime. Wer die Anfänge jener Zeit als Zuschauer*in miterlebt hat, erinnert sich an das Staunen über ein ausgeklügeltes serielles Storytelling, das auch visuell so hochwertig daherkam, wie man es bis dato nur von Kinofilmen gewohnt war.

Auffällig oft standen dabei komplexe, widersprüchliche, zunächst fast ausnahmslos männliche Protagonisten im Mittelpunkt, etwa Kriminelle, die mit ihrem Metier haderten („Die Sopranos“, „Boardwalk Empire“), vermeintliche Durchschnittstypen, die ihre moralische Flexibilität entdeckten („Breaking Bad“, „Mad Men“) oder absolute Antihelden, deren Aufstieg und Fall absehbar aber zugleich überraschend war („House of Cards“, „Dexter“). Das serielle Erzählen stieg mit diesen Produktionen zu einer neuen Kunstform auf und stellte zunehmend eine ernsthafte Konkurrenz zum filmischen Erzählen dar. Wie TV-Kritiker Alan Sepinwall in seinem empfehlenswerten Buch „The Revolution Was Televised“ (2012) über die revolutionären Serien jener Zeit erläutert (u.a. „Die Sopranos“, „The Wire“, „Breaking Bad“), füllte das Fernsehen in den 2000ern und 2010ern zunehmend eine Lücke, die das Kino durch die vermehrte Produktion flacher Blockbuster hinterlassen hatte: „Wer anspruchsvolle Dramen für Erwachsene wollte, ging nicht ins Multiplex-Kino, sondern auf die Wohnzimmer-Couch.“

Durch das Aufkommen des (legalen) Video-Streamings ab Ende der 2000er erzielten diese Qualitätsserien bald globale Reichweite und auch hierzulande konnte man sehr bequem auf immer mehr Staffeln jener Produktionen zugreifen, von denen überall die Rede war. Und so begaben wir uns mit „Mad Men“ ins New York der 1960er, mit „Lost“ auf eine mysteriöse Insel und mit „Game of Thrones“ in die mittelalterlich anmutende Fantasy-Welt von Westeros. Dabei musste niemand lange nach der idealen Serie suchen: Über Mund-zu-Mund-Propaganda hörte man schon, was sehenswert war. Und genau hier wird deutlich, was sich spätestens ab Ende der 2010er gewandelt hat.

 

Überangebot und Ringen um Lukrativität: Die Abgesänge mehren sich

Das Ende des „Golden Age of Television“ wird seit 2015 proklamiert, spätestens seit 2019 ist es aber überdeutlich. In jenem Jahr erzielte die Anzahl der produzierten Staffeln geskripteter Serienformate einen neuen Rekord, wie aus der Auswertung des Pay-TV-Kabelsenders FX hervorging: 532. Damit hatte sich die Serienproduktion innerhalb von nur zehn Jahren mehr als verdoppelt (2009 waren es ‚nur‘ 210 Produktionen). Zugleich ist seit Ende der 2010er von den sogenannten „Streaming Wars“ die Rede: Große Hollywood-Studios wie Warner Bros. und Walt Disney neideten Streaming-Giganten wie Netflix und Amazon Prime den wachsenden Erfolg, entzogen ihnen die Streaming-Lizenzen für ihre Filmproduktionen und kündigten stattdessen eigene Plattformen an. Nun gibt es immer mehr kostenpflichtige Streaming-Anbieter (u.a. Disney+, Apple TV+, HBO Max beziehungsweise hierzulande Sky Ticket, TVNow Premium, Joyn PLUS+, Mubi & Co.), die alle um die gleichbleibend begrenzte Aufmerksamkeit und Freizeit der Zuschauenden konkurrieren.

Und dieser Konkurrenzkampf spiegelt zunehmend die Entwicklungen des Hollywood-Kinos seit Ende der 1990er wider: Wir werden wöchentlich von neuen Serienstarts überflutet, wobei Remakes, Reboots und Spin-offs sowie lukrative Blockbuster-Franchises zunehmend in den Vordergrund rücken. Während Disney+ bei dieser Art der Serienproduktion auf eigene Intellectual Property (IP) wie das „Marvel Cinematic Universe“ und „Star Wars“ zurückgreifen und Hits wie „Loki“ und „The Mandalorian“ hervorbringen kann, müssen andere Streaminganbieter tief in die Tasche greifen und entsprechende Rechte erwerben.

Gesagt, getan: So wartet etwa Apple TV+ seit September mit der ersten Staffel der aufwendig produzierten Weltraumoper „Foundation“ auf, die auf der ausufernden Kurzgeschichten-Reihe des SciFi-Autoren Isaac Asimov beruht, während Amazon Prime am baldigen Start der lang erwarteten „Herr der Ringe“-Serie tüftelt. Die kommenden Jahre sollen dann zeigen, welche Plattform das nächste breitenwirksame und Abonnent*innen lockende Serienformat wie einst „Game of Thrones“ kreiert – apropos: Vor wenigen Tagen hat HBO den ersten Trailer zu „House of the Dragon“ veröffentlicht, der 2022 startenden Prequel-Serie zu „Game of Thrones“.

 

Was kommt nach Gold?

Aber ist damit das „Goldene Serienzeitalter“ tatsächlich zu Ende? Wird es abseits des Blockbuster-Bombasts keine anspruchsvollen, originellen Serienproduktionen mehr geben? Ja und Nein: Das „Golden Age of Television“ scheint insofern auszuklingen, als dass Originalität, Qualität UND Breitenwirksamkeit immer seltener aufeinandertreffen. Es gibt inzwischen solch ein Überangebot, dass publikumsvereinende Serienevents wie einst „Game of Thrones“ und „Breaking Bad“ seltener werden – oder wann hast Du Dich zuletzt mit Freund*innen austauschen können, die gerade die gleichen Titel schauten wie Du? Zugleich zeichnet sich ab, dass künftig nicht mehr unbedingt die Serien mit dem kostbarsten Storytelling die meiste öffentliche Aufmerksamkeit erhalten werden, sondern diejenigen mit den höchsten Produktionskosten – die Blockbuster werden immer häufiger den Buzz bestimmen, wie wir es bei Kinofilmen schon gewöhnt sind.

Doch obwohl die goldenen Serienzeiten in diesem Sinne vorbei sind, ist der Glanz noch lange nicht verloren: Es wird weiterhin hochqualitative, sehenswerte Serien geben, die aus der Masse und dem Mittelmaß durch Experimentierfreude, Einzigartigkeit und Bereitschaft zu tiefgreifender Auseinandersetzung mit vernachlässigten Themen hervorragen. So kann ich in diesem Jahr bislang auf eine Reihe von Produktionen zurückblicken, die mich inhaltlich und visuell auf ganzer Linie überzeugt haben und erzählerisch wirklich neue Wege beschreiten, etwa Barry Jenkins‘ „The Underground Railroad“, David Schalkos „Ich und die Anderen“ oder Valerie Armstrongs „Kevin Can F**k Himself“ (allesamt Serien, die Arabella und ich übrigens in unserem monatlichen Podcast 🎧 Stream-Talk besprochen haben). Es ist immer noch reichlich Qualität und wirklich gute Unterhaltung in der aktuell überwuchernden Serienlandschaft zu finden, man wird nur länger danach suchen müssen und nicht mehr alles für Gold halten können, was glänzt.

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