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Streaming-Kolumne

🎃 Allein daheim Horror streamen – Eine Anleitung

Staffellauf #12 von Dobrila  •  21. Oktober 2021

Halloween steht vor der Tür und damit auch jede Menge streambare Horrorfilme und -serien. Tipps, wie man nervenschonend durch den Filmabend und die Zeit danach kommt.

Ein Mann starrt zuhause auf seinen Fernseher, der Schwarz-Weiß-Aufnahmen von einem Brunnen zeigt. Plötzlich klettert ein Mädchen, dessen Gesicht von langem, schwarzem Haar bedeckt ist, aus dem Brunnen heraus und geht auf die Kamera zu. Gebannt schaut der Mann weiter zu, will wissen, was wohl als nächstes passiert… und verliert vollends die Nerven, als die triefnasse, niemandem wohlgesonnene Gestalt plötzlich aus dem Bildschirm heraus, in sein Wohnzimmer und auf ihn zu kriecht.

Nachdem ich diese Szene aus „Ring“ 2002 gesehen habe, musste ich nächtelang vor dem Schlafengehen den kleinen Fernseher in meinem Zimmer von mir wegdrehen.

Heute, mit dem zarten Abstand von fast 20 Jahren, erschaudere ich glücklicherweise nicht mehr, wenn ich an „Ring“ denke. Dennoch halte ich besagte Szene für die treffendste Verbildlichung vom Horror nach dem Horror: der Angst, dass die grauenhaften Situationen aus einem gerade gesehenen Horrorfilm in unseren sicheren Rückzugsort, in unser Heim dringen, nachdem sie bereits unsere Gedanken eingenommen haben.

Solche Ängste mögen völlig irrational sein, aber dieser Befund hilft keiner Person weiter, die sich nach einem gruseligen Film die Nacht um die Ohren schlägt. Was also tun, wenn man Horror eigentlich mag, vielleicht sogar einen einschlägigen Streamingabend zu Halloween geplant hat, aber den Angstkater danach vermeiden möchte?

 

Die Option vorab: Verzicht (und ein Plädoyer dagegen)

Die naheliegendste Lösung ist natürlich, es einfach sein zu lassen. Es gibt so viele großartige Filme und Serien, muss es denn wirklich Horror sein? Ist die Realität nicht schon gruselig genug? Selbstverständlich muss niemand Horror schauen und schon gar nicht, um sich oder anderen herausragende Tapferkeit zu beweisen (dafür bitte erwähnte gruselige Realität aufsuchen). Aber wer reflektierte Aufarbeitungen der Probleme unserer Gegenwart in Film und Serien sucht, schränkt sich mit dem gänzlichen Verzicht aufs Horrorgenre enorm ein.

Horror war stets ein vielfältiges Genre, das von brutalen Slasher-Filmen („Halloween“, „The Texas Chain Saw Massacre“), über Körperhorror („Die Fliege“, „Das Ding aus einer anderen Welt“) bis hin zu ungeahnt nachwirkendem Psychohorror („Rosemaries Baby“, „Shining“) und noch über viele weitere Subgenres hinaus reichte.

In den letzten Jahren haben Jungregisseur*innen zudem noch Horrorfilme mit gewagtem Storytelling, visueller Raffinesse und so viel Innovation vorgelegt, wie man sie in anderen Genres vergeblich sucht – man denke nur an Jordan Peele („Get Out“, „Us“), Ari Aster („Hereditary“, „Midsommar“) und Julia Ducournau („Raw“, „Titane“). Sich diesen Genrefilmen zu entziehen, hieße, auf einige der besten Filme der letzten Jahre zu verzichten.

 

Die Optionen danach: Fight oder Flight

Wer sich stattdessen dem Horrorverzicht ent- und ein entsprechendes Werk reingezogen hat, hat Wissenschaftler*innen zufolge zunächst eine emotionale Achterbahnfahrt absolviert: Der kunstvolle Wechsel zwischen nervenaufreibendem Suspense und unerwarteten Jump Scare-Sequenzen hat zu einer Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin geführt.

Zwischendrin ist unser Kampf-Flucht-Mechanismus („Fight/Flight“) angesprungen und hat Blutzuckerspiegel und Herzfrequenz ansteigen lassen, vielleicht sogar zu Schweißausbrüchen geführt. Aber in der Gewissheit dessen, dass wir uns lediglich ein fiktives Werk anschauen und nicht in realer Gefahr sind, haben sich im Körper immer wieder beruhigende Endorphine verbreitet.

Nach dem Horrorfilm sieht es bei vielen wieder anders aus. Daheim in der Stille und häufig völlig unerwartet spielt das Gehirn gern die besonders verstörenden Szenen aus dem Gesehenen erneut ab. Dem Psychologen Jonathan Abramowitz von der University of North Carolina zufolge ist das kein intriganter Schachzug unseres Verstandes, sondern vielmehr eine in der Evolutionsgeschichte tief verwurzelte Verarbeitungsstrategie des Gehirns: Es speichert schreckliche (auch fiktionale) Bilder ab, um uns auf eventuelle brenzlige Situationen vorzubereiten. Diese Bilder schwächen sich irgendwann wieder ab.

Wer dieses „irgendwann“ nicht abwarten möchte, greift am besten zu Methoden, die dem urinstinktiven „Fight/Flight“-Mechanismus entsprechen, wobei „Flight“, die Flucht, zunächst naheliegender scheint: Wir flüchten vor den uns plagenden Rückblenden mit Ablenkung. Man kann etwa eine alberne Komödie im Anschluss an den Horrorfilm schauen, einen interessanten Podcast hören, lesen oder sich lange aufgeschobenen, weil nervtötenden Aufgaben widmen (Ende Oktober läuft praktischerweise auch die Frist für die Steuererklärung ab).

Die Hoffnung bei alldem ist natürlich, dass neue Szenen und Bilder das zuvor Geschaute überlagern und uns Aufgaben oder komplexe Theorien derart einnehmen, dass unser Gehirn gar nicht dazu kommt, das abgespeicherte Grauen wieder hervorzuholen.

💬 Stimme mit einem Klick ab:

Hast Du mit Angstzuständen zu kämpfen, nachdem Du einen Horrorfilm gestreamt hast?

1️⃣ Ja, ich kriege danach nachts kein Auge zu

 

2️⃣ Hin und wieder, wenn der Film besonders gruselig war

 

3️⃣ Nein, Horrorfilme lassen mich kalt

Das Ergebnis der Umfrage in der Shelfd Community teilen wir immer in der Folgewoche mit Dir. Lies weiter unten in dieser E-Mail zur Stimmung ggü. Netflix' Gaming-Plänen…

Fruchtet dies nicht, müssen wir uns wohl oder übel in den Fight-Modus begeben und die Konfrontation mit unserer Angst suchen. Besonders Hartgesottene schauen sich den Film also am besten gleich erneut an und achten dabei darauf, wie dieses Machwerk konstruiert ist, wie die Musik die Emotionen steuert und welche abrupten Schnitte die Jump Scares einläuten.

Für effektiver (und zeitsparender) halte ich es aber, sich die Konstruiertheit des Gesehenen zu vergegenwärtigen, indem man sich Making-ofs des Films anschaut, Interviews mit den Regisseur*innen und einige erhellende Trivias durchliest.

So weiß ich, dass das Mädchen Samara in der einschlägigen Szene aus „Ring“ besonders bizarr wirkte, weil der Regisseur ihr Kriechen zunächst rückwärts als „reverse motion“ gefilmt hat. Und dass Samara-Darstellerin Daveigh Chase im Jahr nach „Ring“ der Hauptfigur in Disney’s Zeichentrick „Lilo & Stitch“ ihre Stimme geliehen hat – gar nicht gruselig.

Konfrontieren kann man natürlich auch die direkte Umgebung, vor allem, wenn man plötzlich Geräusche zu hören und in Schatten an der Wand oder Möbelstücken Kreaturen zu erkennen meint. Also: Licht an, schaue unters Bett, unter den Schrank, in die hintersten Winkel – es ist nicht albern, sondern eine effektive Methode, sich eine gehörige Portion lahmer Realität zurückzuerobern.

Gilt das auch für Dachböden oder Keller? Nein, genug der konfrontativen Held*innenhaftigkeit. Und das Licht kann die Nacht über gerne auch mal an bleiben.

 

Langfristige Lösung: Eigene Angstmuster erkunden

Zu guter Letzt noch ein Rat für die langfristige Erkundung des Horrorgenres: Mit den Jahren habe ich festgestellt, wie individuell die Eindrücke von einschlägigen Horrorfilmen ausfallen. Während mich Erinnerungen an „Blair Witch Project“ auf dem kurzen bewaldeten Pfad zum Schulbus wochenlang terrorisierten, fanden viele meiner Freund*innen diesen revolutionären Found-Footage-Film lahm. Die ängstigen sich wiederum nach Slasherfilmen wie „Scream“, den ich unterhaltsam aber ungruselig fand.

Jeder Plot um verbitterte, bösartige und nach Genugtuung gierende Geister, die arglose Familien aufsuchen, beschäftigt mich nachhaltig, vor allem wenn dem ganzen noch Reflexionen über vererbte Schuld, tragische Schweigespiralen und unerforschte Familiengeheimnisse beigemengt sind (Danke für die gute Zeit, „Hereditary“).

Wer weiß, welche Art von Horror eine*n besonders triggert, hat Gelegenheit, den dahinter liegenden individuellen Angstmustern genauer auf den Grund zu gehen. Das Horrorgenre lässt sich dann wirklich für ein Stückchen Selbsterkenntnis nutzen – oder man weiß dann eben einschlägige Filme zu meiden. So oder so: Happy Halloween, ihr werdet es durchstehen!

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