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Streaming-Kolumne mit der Frage der Woche

Lost in Translation: Warum es auf „O-Ton oder Synchro?“ nicht mehr ankommt

Staffellauf #16 von Dobrila  •  18. November 2021

Der Streit zwischen Original- und Synchro-Verfechter*innen verliert angesichts neuer Übersetzungsprobleme durch den Boom internationaler Serien wie „Squid Game“ an Bedeutung.

Es ist ein Streit, der seit dem „Goldenen Serienzeitalter“ tobt, als amerikanische Qualitäts-Produktionen wie „The Wire“ in DVD-Boxen auch Deutschland erreichten und man sich überlegen musste, ob man sich diese tiefgreifende Auseinandersetzung mit Kriminalität in Baltimore nun in der Originalversion (wahlweise mit deutschen oder englischen Untertiteln) oder in der synchronisierten Fassung anschaut.

 

Zwischen Snobismus und Bequemlichkeit

Bis heute haben sich die Fronten zwischen den Original- und Synchro-Schauer*innen zunehmend verhärtet: Erstere werfen Letzteren gern Bequemlichkeit vor, die dazu führe, dass man die Serie nicht in ihrer vollen, ursprünglichen (Sprach-)Pracht rezipiere. Letztere betrachten dies häufig als snobistischen Angriff und verweisen auf die hohe Qualität der deutschen Synchronisation.

Ich persönlich schaue am liebsten im Original und bei nicht-englischsprachigen oder arg nuscheligen englischen Originalfassungen schalte ich Untertitel ein – die Gründe sind vielfältig: Es geht mir um den Erhalt von Fremdsprachenkenntnissen, den Genuss des vollen Schauspiels (zu dem eben auch der Einsatz der Stimme gehört) und die Erfassung von Nuancen in Dialogen sowie kaum übersetzbarer Elemente, etwa bestimmte Sprachbilder, Dialekte und Soziolekte.

Nichtsdestotrotz gibt es absolut gelungene Synchronisationen, die ich der Originalfassung gegenüber sogar vorziehe: So habe ich Anfang des Jahres, als Amazon Prime das grauenhafte Sequel dazu herausbrachte, nach etlichen Jahren „Der Prinz aus Zamunda“ (1988) erneut geschaut – und musste nach zehn Minuten auf die Synchronfassung umsteigen, vielleicht aus Nostalgie, aber vor allem, weil ich diese witziger fand. Und wenn ich an „Akte X“ denke, habe ich noch immer die sehr schöne tiefe Stimme von Gillian Andersons deutscher, 2019 leider verstorbenen Synchronsprecherin Franziska Pigulla im Ohr.

 

Neue Herausforderungen durch internationalisiertes Streaming

Wenn wir über die Wahl zwischen Original- oder Synchronfassung sprechen bzw. streiten, gehen wir meist von amerikanischen oder britischen Serien und durch das deutsche Schulsystem zumindest rudimentär vorhandenen Englischkenntnissen aus.

Aber zunehmend sind wir, vor allem durch Netflix‘ globale Agenda, mit überaus sehenswerten Produktionen aus Ländern konfrontiert, deren Sprachen hierzulande die Wenigsten beherrschen.

So hat Netflix allein dieses Jahr mehr als 500 Millionen US-Dollar in koreanischen Content investiert, wie der Hollywood Reporter berichtet – und der enorme internationale Erfolg der Serie „Squid Game“, die weltweit in 13 Synchronfassungen vorliegt und mit Untertiteln in 31 Sprachen verfügbar ist, reicht schon als Erklärung.

Genau an „Squid Game“ hat sich inzwischen ein neuer Streit hinsichtlich der zu favorisierenden Spracheinstellungen entzündet. Denn ungeachtet dessen, ob man nun die Synchronfassung oder das koreanische Original mit Untertiteln schaut: Die Übersetzungen weisen, koreanischen Muttersprachler*innen zufolge, Mängel auf, die dazu führen, dass man die sehr pointierten, auf Sozialstrukturen verweisenden Dialoge sowie die sich wandelnden Verhältnisse zwischen den Figuren nicht gänzlich erfassen könne.

💬 Stimme mit einem Klick ab:

Wie wichtig sind Dir möglichst originalgetreue Übersetzungen in Serien-Untertiteln oder -Synchronfassungen?

1️⃣ Wichtig: Wenn Dialoge nur grob übersetzt werden, verfälscht das die Serie

 

2️⃣ Unwichtig: Es reicht mir, wenn ich im Großen und Ganzen der Handlung folgen kann

Das Ergebnis der Umfrage in der Shelfd Community teilen wir immer in der Folgewoche mit Dir. Lies weiter unten in dieser E-Mail, ob „Squiad Game“ oder doch „Bridgerton“ beliebter sind unter den Mitlesenden.

„Gganbu“, oder: das geteilte Leid der Sprachbarriere

Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: In der für mich emotionalsten Szene von „Squid Game“ überreicht der ältere, an einem Gehirntumor leidende Spieler Oh Il-nam dem Protagonisten Seong Gi-hun bei einem der Spiele um Leben und Tod seine letzte Murmel mit Verweis auf das Band zwischen „Gganbu“ (auf Koreanisch wohl „Kkanbu“ geschrieben und als „sehr enge*r Freund*in“ übersetzbar).

Wie einige des Koreanischen mächtige Zuschauer*innen erläutert haben, erklärt Oh Il-nam dabei, dass es unter Gganbu kein Eigentum gebe. Die deutsche Synchronfassung greift das recht nah am Original auf mit den Worten „Unter Gganbu gibt es nicht mein oder dein.“ Doch im deutschen Untertitel heißt es: „Wenn man Gganbu ist, dann teilt man alles.“

Die Betonung dieser unterschiedlichen Abweichungen zum Originaldialog kann man für Haarspalterei halten, aber die Unterscheidung zwischen der Aufhebung von individuellem Besitzdenken und der Hervorhebung der Bedeutung des Teilens ist in einer Serie, die vielfach (und international) hinsichtlich ihrer kapitalismuskritischen Dimension analysiert wurde, nicht unerheblich.

Und bevor wir alle daraus schließen, dass ja dann doch wohl die Synchronfassung generell näher am Original und überlegen sei: In der englischen Übersetzung von „Squid Game“ ist tatsächlich die Untertitelfassung näher an dieser ursprünglichen Bedeutung als die Synchronisation, in letzterer heißt es auch lediglich: „Gganbu always share everything with each other, no matter what.“

Um auf die Fronten zwischen Original- und Synchronfassung-Befürworter*innen zurückzukommen: Am Beispiel von „Squid Game“ und Produktionen aus anderen Ländern, deren Sprachen wir nicht ansatzweise beherrschen, lässt sich erkennen, wie sehr wir auf möglichst hochwertige, originalgetreue Übersetzungen angewiesen sind, um den Inhalt solcher Serien ungeachtet der Sprachbarriere treffend deuten zu können. Und dies betrifft letzten Endes sowohl die Untertitel- als auch die Synchronfassung.

 

Übersetzer*innen und Synchronsprecher*innen unter Druck

Nur leider scheint dies bei Streaminganbietern wie Netflix noch nicht gänzlich angekommen zu sein: So ist in einem aktuellen Bericht des britischen Guardian zu lesen, dass begabte und erfahrene Untertitelübersetzer*innen die Branche gerade scharenweise verlassen – und dies betreffe ganz unterschiedliche Sprachräume.

Der Grund: enormer Zeitdruck aufgrund des stetig wachsenden Workloads durch den internationalisierten Streamingboom und trotzdem sinkende Honorare. Dies habe zur Folge, dass von den beauftragten Mittlerfirmen eben weniger erfahrene Übersetzer*innen angeheuert werden und zunehmend mit maschineller (minderwertiger) Unterstützung oder per Zwischenschritt von der englischen Übersetzung ausgehend gearbeitet werde.

Und auch die Synchronisationsbranche ächzt unter dem steigenden Zeitdruck: Es müssen immer mehr Filme und Serien in immer kürzerer Bearbeitungszeit eingesprochen werden und dafür liegen häufig auch nur unfertige Episoden der zu synchronisierenden Serie vor – hölzern klingende Dialoge und Anschlussfehler in der Synchronfassung sind mitunter die Folge.

Angesichts der daraus zu erwartenden Qualitätsprobleme macht es bald also wenig aus, ob wir nun grundsätzlich den Originalton mit Untertiteln oder die Synchronfassung bevorzugen: Wir sollten vielmehr hoffen und bei jeder Feedbackgelegenheit darauf drängen, dass sich die Arbeitskonditionen der notorisch unterbezahlten Übersetzer*innen und wenig wertgeschätzten Synchronsprecher*innen verbessern – vor allem im Hinblick auf die großartigen, internationalen Serien, die uns nach „Squid Game“ noch erwarten dürften.

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wollten wir wissen, welche Serie den 1. Platz der Netflix-Charts eurer Meinung nach mehr verdient hat. Für 61% der Community ist „Squid Game“ zurecht meistgesehen. 39% hätten den Titel dagegen lieber weiterhin „Bridgerton“ gewünscht. Das ging knapper aus, als gedacht! 📝 Die Kolumne dazu kannst Du hier nachlesen.

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